Zugegeben, die Vorstellung wˆ§re reizvoll: Schnitzel
und Weinkaraffen beschwˆren auf einer Leinwand Wiener
Flair, davor werkt ein hippes Ensemble. Und wˆ§hrend
einer im Dialekt singt, bearbeiten andere DJ-Pult und
Elektronik. Vibrierende Grooves vor tanzenden Massen.
Und die ganze Welt shakt begeistert mit.
Dass derlei kaum passieren wird, mˆºssen freilich
nicht erst Musikˆ§stheten und Marketingexperten lehren.
Mit dem Tango, Argentiniens Nationalstolz, ist freilich
genau das geschehen. Seit den 90er Jahren haben dessen
Klang, Stil und Tanz eine europˆ§ische Renaissance
erlebt, die elektronische Musik zog nach der
Jahrtausendwende nach: Seit dem Debˆºtalbum "La Revancha
Del Tango" (2001) reˆºssiert das Pariser "Gotan Project"
mit loungigen Tracks und Auftritten, die stets auf
Hippness zugeschnitten sind: So zielgenau, wie wummernde
Endlosschleifen aus dem Klischeefundus des Tangos
schˆpfen, so ermˆºdend archetypisch flackern dazu Pferde,
Liebende und Tˆ§nzer ˆºber Screens im Hintergrund der
Live-Acts.
Wobei der Stil-Hybrid nicht nur am Kontinent erdacht
wurde: Zwischen Argentinien und Uruguay, quasi im
Geburtsdelta des rassigen Tanzes, zimmert der "Bajofondo
Tangoclub", der wie Gotan Project aus Instrumentalisten
und Elektronikern zusammengewˆºrfelt ist, seit 2002 satte
Dancefloor-Sounds zu dem Kulturgut ’Äì mit Erfolg, wie ein
Vertrag mit Universal Music zeigt.
Ob ein Tango-Update allerdings nur unter Preisgabe
der Authentizitˆ§t fruchtet?
Ein Szene-Protagonist widerspricht: Carlos
Libedinsky. Im Jahr 2000 unternahm er erste
Fusionsversuche mit einem anderen Ansatzpunkt: Der
Argentinier ist Tˆ§nzer. Kein professioneller, wie er
gesteht, aber ein eifrig praktizierender Liebhaber. Und
so will sein Projekt "Narcotango" nicht nur ins Ohr,
sondern auch ins Bein gehen.
"Tango ist eine unglaubliche Koexistenz von Musik
und Tanz" , schwˆ§rmt der einstige Rock-Gitarrist.
Und weil er diese Allianz nicht nur in traditionellen
Stˆºcken fˆºhlen wollte, fing er selbst zu basteln an.
Erst mit zwei Tracks auf dem Album "Aldea Global", wenig
spˆ§ter in grˆˆüerem Umfang.
Als er diese Demos Freunden vorspielte, fˆºhlte er
sich endgˆºltig bestˆ§tigt: "Sie liebten es, begannen
dazu zu tanzen." Bis zu "Narcotango", dem Ersterfolg
des Projekts, war es nicht mehr weit: Instrumentalisten
kamen ins Studio, 2004 wurde verˆffentlicht. Und seit
heuer ist der Nachfolger, schlicht mit einem Zweier
hinter dem Bandnamen betitelt, auf dem Markt. Es ist ein
organischeres Album geworden, meint der Argentinier,
sind die neuen Nummern doch nicht mehr in
Studio-Klausur, sondern geeinsam mit der Band
entstanden. Deren Aktionsradius reicht mittlerweile weit
ˆºber die Heimatstadt Buenos Aires hinaus: "Wir
konnten gar nicht mehr aufhˆren zu reisen" , erzˆ§hlt
Libedinsky, der es in Europa schon bis nach Skandinavien
geschafft hat.
Wie er auf den Projektnamen kam? "Narco" bedeutet
nicht Narkose, sondern Trance. Wie man sie in einer
langen Tangonacht erreicht, wenn nur noch wenige Pˆ§rchen
am Parkett sind? Durch Erschˆpfung, die in
drogenˆ§hnlicher Benommenheit mˆºndet ’Äì und in erotischer
Intimitˆ§t.
Damit ist auch das Stichwort gefallen, das dem Tango,
seit seiner ˆúberfahrt nach Europa Anfang des 20.
Jahrhunderts, Verrucht- und Verkaufbarkeit gleichermaˆüen
sichert. Der Wiegeschritt wˆ§rmt, auch wenn ihn das
Abendland manchmal nicht mitvollzieht: Als Libedinsky
bei vermeintlich kˆºhlen Norwegern zu Gast war, sei dort
ˆºberraschende Tanzfreude aufgekommen ’Äì wenn es auch bei
rhythmischem Gehopse blieb.
Was die neue CD betrifft, so lˆ§sst sich dazu sicher
trefflich tanzen. Ob sie allerdings dem Elektronikfan,
fern von Buenos Aires, schmeichelt, ist eine andere
Frage . . .
Carlos Libedinsky
Narcotango 2
Tademus
Gefˆ§lliges fˆºr Tangofans.
Samstag, 09. Dezember
2006